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Übers Üben

Neulich habe ich ein Interview mit dem berühmten Pianisten Rudolf Buchbinder gelesen. Buchbinder ist mit seinen 75 Jahren ein Grand­sei­g­neur im Klassikbetrieb. Da ich vor einigen Jahren mit dem Philharmonischen Kammerorchester und ihm als Solisten einen Großteil von Mozarts Klavierkonzerten aufführen durfte, hatte ich viel mit ihm zu tun. In dem Interview entdeckte ich eine interessante Parallele zwischen ihm und mir. Buchbinder erzählte, dass er in seinem Leben fast nie länger als eine Stunde am Tag geübt hat. Selbiges gilt auch für mich. Im Gegensatz zu meinem Instrument finde ich diesen Zeitrahmen bei einem Pianisten aber bemerkenswert, vor allem wenn man betrachtet, welche technischen Fertigkeiten auf dem Klavier nötig sind. Offensichtlich hat es bei Buchbinder gereicht.   

Nun ist der zeitliche Aufwand beim Üben eine sehr individuelle Angelegenheit. Viel wichtiger als der Zeitrahmen ist die Art, wie man übt. Da ich hier nicht über andere Herangehensweisen urteilen will, beschreibe ich lieber, worauf ich immer wert gelegt habe. 

Beispielsweise habe ich niemals stur geübt, also Passagen immer und immer wieder wiederholt, bis sie ‚funktionierten‘. Für mich ist das zu langweilig und auch wenig effektiv. Vor allem als Hornist hat man ja eh nie die Sicherheit, dass eine Stelle gelingt – und hat man sie noch so oft gespielt. Vieles ist also Kopfsache. Im Kampfsport habe ich gelernt, dass die Flexibilität von Körper und Geist die wichtigsten Faktoren sind, um Herausforderungen zu meistern oder einen Kampf zu gewinnen. Beim Musizieren ist das nicht anders. Ein breites und variables Repertoire an technischen Möglichkeiten ist dabei ebenso wichtig, wie die Fähigkeit, schnell zu reagieren. Reaktionsfähigkeit entsteht aber nicht durch stupides Wiederholen, sondern durch variantenreiches Training. Dabei darf es für das Gehirn nicht bequem werden. Eine Möglichkeit ist, sich ständig neue Arten zu suchen, wie Tonleitern und Dreiklänge gespielt werden. Glauben Sie mir, da gibt es hunderte. Gehirntraining ist aber auch jegliche Form von Weiterbildung, auch das Schreiben einer Kolumne wie dieser, wo man versuchen muss, das, was man zu sagen hat, in etwa 2000 Zeichen unterzubringen. Diesmal sind es übrigens genau 2240. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Werner Meier (Dienstag, 04 Januar 2022 19:09)

    Wieder gut gesprochen und geschrieben, sehr lustig und unvermittelt der Schluss. Sowas gefällt mir ganz besonders. Ein lustiger Ausspruch vom Rudi Zapf über Musiker, die sehr viel üben: Habt’s ihr denn keine Auftritte, weil ihr soviel üben müsst?!
    Auf ein gutes Neues!
    Werner