· 

Gut Ding ...

Bei unserer vergangenen Tournee mit Zubin Mehta war ausschließlich Brahms auf dem Programm. Zwei Sinfonien und die beiden Klavierkonzerte. Letztere haben für mich eine besondere Bedeutung, sind sie am 3. Horn eine ziemliche Herausforderung. Grund dafür sind mehrere recht exponierte Soli, die deswegen unangenehm zu spielen sind, weil man außer diesen Soli relativ wenig zu spielen hat.
In meinem Studium wurde um diese Soli ein mords Aufhebens gemacht, so dass ich eine richtige Phobie gegenüber den Klavierkonzerten entwickelte. Bis vor kurzem habe ich sie als Gesamtstücke nicht wirklich wahrnehmen können, weil ich immer nur mit dem Denken an diese Soli beschäftigt war. 

Über 30 Jahre hat es gedauert, bis ich nun eine Herangehensweise an die Klavierkonzerte gefunden habe, die dieser wunderschönen Musik gerecht wird. 
Es ist ja nicht so, dass ich das, was in meiner Hornstimme steht, nicht spielen kann. Ehrlich gesagt gibt es haufenweise Literatur, die wesentlich anspruchsvoller ist. Trotzdem hat sich in meinem Kopf immer das Denkmuster in den Vordergrund gedrängt, dass mir, wenn ich die Soli spiele, nichts „passieren“ darf, dass ich also ja nicht kiekse oder sonst irgendein Fehler passiert.
Diese Einstellung ist fatal, weil man sich nur noch auf das Richtigmachen konzentriert, anstatt zu spielen. Das Interessante ist, dass die Gefahr eines Nichtgelingens mit diesem Denkmuster erheblich steigt. 

Nun ist so ein Denkmuster aber nicht so ohne weiteres abzustellen. Auf Befehl keine Angst zu haben, geht ja nicht. Ich musste also meine Grundeinstellung ändern. Und das braucht Zeit - vor allem nach Jahrzehnten der falschen Prägung. 

Endlich, mit Anfang Fünfzig bin ich auf dem richtigen Weg. Endlich, in diesem Januar 2024, habe ich diese Soli als Herausforderung betrachten können. Ich habe sie in dem Bewusstsein gespielt, dass ich ihnen gewachsen bin. Endlich ist es mir gelungen, meinen hornistischen Fähigkeiten zu vertrauen.  Dieses Vertrauen ließ zu, dass ich an die musikalische Gestaltung der Soli denken konnte. Ich kämpfte nicht mehr gegen die Soli, ich musizierte sie. Auch wenn in den Proben noch ab und zu ein Zweifel auftauchte – wie gesagt, Prägungen sind nicht so leicht loszuwerden -, wurde ich von Konzert zu Konzert freier. Indem ich das fundierte Wissen um die Möglichkeiten, mich zu verbessern, anwendete, wurde ich auch immer sicherer. 
Ich habe meine Herangehensweise grundlegend verändert. Nicht dem Denken an mögliche Fehler gebe ich Raum, sondern dem Vertrauen in meine Fähigkeiten. 
Interessant, dass ich mehr als 30 Berufsjahre dafür gebraucht habe, ein kontraproduktives impliziertes Denkmuster zu ändern. 

Gut Ding will eben manchmal Weile haben ... 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Peter Wiser (Samstag, 09 März 2024 21:14)

    Wenn ich mir bei einer Angststelle immer wieder vorsage: „hoffentlich spiele ich die Stelle nicht falsch“ dann ist das der beste Weg, die Stelle zu versemmeln. Ich muss mir statt dessen immer wieder etwas Positives vorsagen: „Ich spiele die Stelle richtig“ ist zu wenig, besser ist „ich spiele die Stelle schön“. Und dann stelle ich mir immer wieder vor, wie ich auf der Bühne sitze und die Stelle schön spiele. Voraussetzung ist natürlich, dass die Stelle gut genug geübt ist.

  • #2

    Werner Meier (Mittwoch, 13 März 2024 07:43)

    Lieber Uli, ja, es braucht Zeit, bis man die Angst vor dem ‚Falschspielen‘ abgelegt hat und sich einfach auf die wunderbare Musik oder bei uns eben auf das Lied, dessen Inhalt konzentriert. Ich hatte diese Angst immer, wenn Fernseh-Kameras auf mich gerichtet waren. Da habe ich auch einige Jahrzehnte gebraucht, bis ich die abgelegt habe. Aber jetzt ‚scheiß-i-mir-nix-mehr‘ jetzt spiel ich einfach und erfreu mich an meinen Liedern und dann verspiel ich mich auch nicht mehr. Die Angst vor dem Falschspielen zieht viel Kraft, der Zugang zu der Emotion, zu dem Gefühl, das die Musik, das Lied ausdrückt, gibt einem Kraft und Sicherheit. Und verleiht einem den Ausdruck, den man sich als Künstler und auch als Zuhörer wünscht. Herzliche Grüße und Danke für die tolle Kolumne. Werner