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Ohne Musik

In der ZDF-Mediathek ist derzeit „Die Wannsee-Konferenz“ abrufbar. Dem Regisseur Matti Geschonnek ist mit der Nachstellung des historischen Treffens maßgeblicher Nazigrößen in einer Berliner Villa ein Meisterwerk der Filmkunst gelungen, das den Zuschauer fassungslos zurücklässt. Es ist die Sachlichkeit des Gesprächs, die einem die Luft raubt. Ein Gespräch, in dem der Mord an 11 Millionen Juden beschlossen wurde, als handle es sich um die Organisation einer Sportveranstaltung. Zwei Faktoren tragen in besonderer Weise dazu bei, die Wirkung des Films so eindrücklich wirken zu lassen. Zum einen sind es die grandiosen Schauspieler, zum anderen ist es das Fehlen jeglicher Musik. Letzteres halte ich für eine ausgesprochen feinsinnige Entscheidung des Regisseurs.

Musik stellt eine Verbindung zum Inneren des Menschen dar, zu seinen Emotionen, zu seiner eigenen Empfindsamkeit. Nichts davon war bei den Teilnehmern der Konferenz vorhanden. Genaugenommen war sie also das Gegenteil von Musik. Sie war die umfassende Trennung von allem, was Menschlichkeit und Menschsein ausmacht. Den Film mit Musik zu untermalen oder auch nur zu umrahmen wäre also paradox gewesen. 

Ich bin dem Regisseur für diese Konsequenz sehr dankbar, hat das Fehlen jeglicher Musik auf eine neue, ganz andere Weise gezeigt, wie wichtig sie für mich persönlich, für uns alle und im Besonderen für eine funktionierende Gesellschaft ist. 

Nun kann man anmerken, dass auch im Dritten Reich Musik eine Rolle spielte, was natürlich stimmt. Sie wurde aber von den Machthabern missbraucht. Sie wurde zum Gegensätzlichen dessen verwendet, was sie ausmacht. Nur wenn Musik frei ist, wenn sie unabhängig von Ideologien gespielt und nicht instrumentalisiert wird, kann sie der Schlüssel zur Menschlichkeit sein, zum tiefsten Inneren. Wenn es der Intention der Musikschaffenden entspricht, darf sie auch politisch sein, verstörend, vielleicht sogar zerstörerisch, aber nur so lange sie frei bleibt. Darauf muss eine Gesellschaft achten - im Besonderen wir Musikerinnen und Musiker. 

Für mich ist genau das auch der Grund, warum ich das Spielen des Badenweilers für problematisch halte. Nach wie vor ist dieser Marsch ein musikalisches Symbol für diejenigen, die ihn missbraucht haben – allen voran die Teilnehmer der „Wannsee-Konferenz“.  Nach wie vor ist er ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die direkt oder indirekt unter den Folgen dieser unsäglichen Konferenz gelitten haben oder noch darunter leiden. Für mich ist es eine Frage von Menschlichkeit und Anstand, diesen Lieblingsmarsch des Führers nicht zu spielen. 

 

https://www.ulrichhaider.de/home/blog-ulrich-haider-schreibt-über-musik/

https://www.zdf.de/filme/die-wannseekonferenz/die-wannseekonferenz-104.html

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Kommentare: 1
  • #1

    Ursl und Heinrich (Sonntag, 06 März 2022 20:07)

    Danke lieber Uli für deine immer wieder guten Gedanken in deinen Kolumnen. Sehr berührt hat uns dein Text zum Ukraine Krieg. Dein Konzert war sicherlich sehr schön. Das Brahms Horntrio ist ein wunderbares Werk. Ganz liebe Grüße Ursl und Heinrich ��