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Intensität

In einem „Frisch an die Arbeit“-Podcast der ZEIT stellt die ukrainische Sängerin Mariana Sadovska recht eindrücklich dar, warum es ihr wichtig ist, trotz des Krieges in verschiedensten europäischen Ländern aufzutreten und Lieder ihrer Heimat zu singen. Sie begründet dies im Wert von Liedern in der Kultur ihres Landes. Für mich gab es zu Beginn des Gesprächs einen sehr erhellenden Moment, wo Sadovska etwas beschreibt, das in unserem Kulturkreis ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Sie beschreibt, dass das Singen nicht nur der Unterhaltung und dem Ausdruck von Emotionen dient, sondern eine viel weitreichendere Funktion hat, eine existentielle, direkt mit dem Leben verbundene. Wenn Menschen in der Ukraine singen, ist das Teil ihres Lebens, es verleiht der Freude eine höhere Qualität, es dient dazu, Trauer zu bewältigen, es hilft Probleme zu lösen, es macht die Menschen zu einem Teil der Natur, in der sie leben. 

Als ich vor wenigen Monaten, also schon zu Kriegszeiten, einen Chor aus Charkiw, - einer Stadt, die während ich diese Kolumne schreibe, gerade mit Raketen angegriffen wird - live erleben durfte, war ich hingerissen von der Intensität des Gesanges, sowohl des Chores im Gesamten, als auch in den Einzelleistungen. Schon damals habe ich mich gefragt, woher diese Intensität kommt. Im Podcast habe ich die Antwort erhalten. Diese Menschen aus der Ukraine singen nicht nur, sie leben den Gesang. Und da ist ein wesentlicher Unterschied. Ich denke, dass wir uns in Deutschland oft viel zu viel Gedanken um das „Richtig“ machen, anstatt uns damit zu beschäftigen, wie Musik an Intensität gewinnen kann. Dabei hat wohl jeder von uns schon mal erlebt, was für ein unglaubliches Erlebnis es ist, wenn diese Intensität zu spüren ist, sei es beim Zuhören oder Musizieren. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Werner Meier (Montag, 03 April 2023 18:49)

    Lieber Uli,
    Ja, wir machen uns um das ‚richtig‘ vielzuviel Gedanken. Es gibt leider viel seelenloses Chorgsangl auch bei berühmten Chören, weil sie jedes Lied über den gleichen Kamm scheren: Es geht eben meistens nur um Intonation, Richtigkeit und technische Perfektion. Ich habe mich am Anfang bei den ersten Sternschnuppe-Produktionen auch bemüht, dass man möglichst schön intoniert, aber gerade die Lebendigkeit in den Liedern bringen die eher schrägen Töne der Kinder rein, die sich um die Richtigkeit eben keine Gedanken machen, sondern nur an das denken, was sie singen. Deswegen ist unser Wirtshaus-Singen in Ottenhofen manchmal so schön, weil die Leute aus der Arbeit kommen. Sie sind Handwerker, ITler oder Rentner und sie freuen sich so, dass sie Gelegenheit zum Singen haben. Und im Laufe des Abends singen alle immer schöner und sogar richtiger. Weil ich sie halt einfach immer wieder dazwischen auffordere an den Text zu denken, den sie gerade singen. Wenn wir zum Abschluss dann, wie immer, den Sterzinger Andachtsjodler singen hat das was ganz Magisches, Inniges - eben Intensität.
    Danke für den schönen Beitrag und herzliche Grüße
    Werner